“Mit semantischen Datenmodellen Präzision und Effizienz beim Austausch von Geschäftsdaten erreichen!”

Ein Interview mit Sue Probert über die Entwicklung und Auswirkungen semantischer Datenmodelle und ihrer nachhaltigen Auswirkungen auf den globalen Handel.

In diesem Interview sprechen wir mit Sue Probert, die gerade ihre zweite Amtszeit als Vorsitzende von UN/CEFACT beendet hat.UN/CEFACT (United Nations Centre for Trade Facilitation and Electronic Business) entwickelt globale Standards und semantische Datenmodelle zur Erleichterung und Harmonisierung internationaler Handelsverfahren und Geschäftsprozesse. In den vergangenen Jahrzehnten hat Sue die wichtigsten Entwicklungen in diesem Bereich nicht nur miterlebt, sondern auch mitgestaltet und eine entscheidende Rolle bei der Revolutionierung des globalen Datenaustauschs gespielt. Wir freuen uns auf die Erkenntnisse und Erfahrungen, die sie auf ihrer lebenslangen Reise gewonnen hat.

Sie haben eine umfangreiche Karriere auf dem Gebiet des elektronischen Datenaustauschs hinter sich. Würden Sie uns bitte zunächst etwas über Ihre Anfänge erzählen und wie Sie in diesen Bereich gekommen sind?

Ganz genau. Ich habe in den 1980er Jahren bei einer IBM-Vertretung im Vereinigten Königreich begonnen an Prozessen der Handelserleichterung zu arbeiten. Damals war ich an der Entwicklung eines Systems beteiligt, das es Exporteuren ermöglichte, standardisierte Exportdokumente mit Hilfe der Laserdrucktechnologie effizienter zu erstellen. Diese frühe Erfahrung hat mein Interesse an der Standardisierung von Datenmodellen und am elektronischen Handel geweckt. Damals ging es allerdings noch nicht um den elektronischen Datenaustausch zwischen Unternehmen. Vielmehr ging es darum, Funktionen zu entwickeln, mit denen Drucker die entsprechenden Geschäftsdokumente effizient ausdrucken konnten. Die Dokumente waren also alle noch papierbasiert.

Anfang der 1990er Jahre wurde ich jedoch entlassen und fand mich auf der Straße wieder, ohne Auto, ohne Laptop, ohne Telefon. Das ist einer dieser Momente, in denen man gezwungen ist, über seine Zukunft nachzudenken. Drei Monate später hatte ich ein neues Unternehmen gegründet.

Und ich hatte mit meinem früheren Arbeitgeber ausgehandelt, dass ich die gesamte Software, für deren Entwicklung ich verantwortlich war, zusammen mit dem Großteil des Entwicklungsteams übernehmen konnte. Ich gründete also eine kleine Firma in meinem Haus. Am Anfang hatte ich sechs Mitarbeiter, und wenn die Kinder zur Schule gingen, wurden ihre Schlafzimmer als Büros genutzt.

Wir konzentrierten uns auf Softwarelösungen für den internationalen Handel, und über die britische SITPRO-Organisation schloss ich mich einem gemeinsamen ebXML-Projekt der UN/ECE und der OASIS an, wo ich zum ersten Mal mit vielen Leuten aus der XML-Welt in Kontakt kam. Einer von ihnen wollte mit UN/CEFACT zusammenarbeiten und neue XML-Lösungen für den internationalen Handel entwickeln. Aufgrund unseres Fachwissens in beiden Bereichen führte dies dazu, dass eines der Dotcom-Unternehmen beschloss, mein Unternehmen zu kaufen. Das ist eines dieser wirklich entscheidenden Ereignisse, die zu einer wunderbaren Reihe von Lebenserfahrungen führten. In den nächsten drei Jahren arbeitete ich weiter für dieses Unternehmen, teils im Silicon Valley, teils im Vereinigten Königreich.

Wie haben Sie dann den Weg zu UN/CEFACT gefunden?

Durch den Verkauf des Unternehmens war ich finanziell unabhängig und konnte daher frei entscheiden, was ich als nächstes tun wollte. Die Welt des internationalen Handels faszinierte mich weiterhin. Also beschloss ich, etwas von meiner Erfahrung zurückzugeben und begann, als ehrenamtlicher Experte direkt bei UN/CEFACT mitzuarbeiten.

„Referenzdatenmodelle sind definitiv das Wichtigste, woran ich gearbeitet habe, nicht nur in den letzten sechs Jahren, sondern viel länger.“

Und Sie haben seither einen langen Weg zurückgelegt. Kürzlich haben Sie Ihren sechsjährigen Vorsitz von UN/CEFACT beendet, wie blicken Sie auf diese Zeit zurück? Von welchen Ihrer Beiträge wünschen Sie sich einen besonders lanfgristigen Einfluss?

Referenzdatenmodelle sind definitiv das Wichtigste, woran ich gearbeitet habe, nicht nur in den letzten sechs Jahren, sondern viel länger. Diese Referenzdatenmodelle sind so strukturiert, dass sie Daten im Zusammenhang mit internationalen Lieferketten sinnvoll darstellen. Sie stellen sicher, dass die semantischen Daten, die in grenzüberschreitenden Handelsprozessen verwendet werden, gut definiert, standardisiert und über verschiedene Systeme, Organisationen und Länder hinweg allgemein verständlich sind.

Um diesen universellen und standardisierten Ansatz zu verstehen, lassen Sie uns den Begriff „Käufer“ als Beispiel verwenden. Ein Käufer muss klar definiert sein, damit alle an einer Transaktion Beteiligten sehr genau wissen, wer für die Zahlung verantwortlich ist. Das UN/CEFACT-Datenmodell enthält zahlreiche Attribute für die Käuferpartei, von denen viele für den allgemeinen Gebrauch bestimmt sind, wie z. B. der Firmenname, die Adresse und Kontaktinformationen. Einige Attribute sind jedoch nur bei bestimmten Transaktionen erforderlich, z. B. wenn es um regulierte Waren, besondere Steuerbedingungen oder besondere vertragliche Vereinbarungen geht. Die semantischen Datenmodelle von UN/CEFACT sind eine Art Bibliothek, in der alle wichtigen, für den internationalen Handel relevanten Daten einheitlich und umfassend definiert sind.

Können Sie näher erläutern, welche Vorteile Referenzmodelle haben und wie sie für Unternehmen im Allgemeinen nützlich sind?

Ein semantisches Referenzdatenmodell ermöglicht es den Handelspartnern, dieselben Datendefinitionen wiederzuverwenden, unabhängig von dem Syntaxformat, das sie für den Datenaustausch verwenden. Dies bedeutet, dass ein Unternehmen von einem Syntaxaustauschformat zu einem anderen wechseln oder sogar neue Formate einführen kann, ohne dass die zugrunde liegende Bedeutung der Daten verloren geht. Dies ist besonders wertvoll für den internationalen Handel, wo man mit unterschiedlichen Vorschriften und Praktiken über Ländergrenzen hinweg zurechtkommen muss. Unsere Modelle stellen sicher, dass die semantischen Datendefinitionen konsistent und zuverlässig bleiben, ganz gleich, wo sie verwendet werden.

Diese Wiederverwendbarkeit ist der entscheidende Vorteil von semantischen Datenmodellen. Im Rahmen von UN/CEAFCT haben wir unser internationales Lieferketten-Referenzmodell kontinuierlich weiterentwickelt und erweitert und bieten nun ein Modell an, das die Prozesse in der internationalen Lieferkette besser widerspiegelt als jedes andere bekannte Lieferkettenmodell.

Sie waren auch an der Einführung der Technologien UN/EDIFACT, XML und JSON beteiligt. Wie haben diese die Landschaft des Datenaustauschs verändert?

Einerseits hatte jedes neue Syntaxformat sicherlich einen großen Einfluss auf die technische Umsetzung des Datenaustauschs. Als in den 2000er Jahren XML und ein Jahrzehnt später JSON sehr populär wurden, wurden neue Standards und Datenformate entwickelt, die in Bezug auf Semantik und Syntax speziell auf die neuen Datenformate zugeschnitten waren.

Auf der anderen Seite haben diese Änderungen die operativen Prozesse im internationalen Handel nicht grundlegend verändert. Diese Kontinuität in den Prozessen unterstreicht, wie wichtig es für die Unternehmen ist, ihre Aufmerksamkeit auf semantische Referenzmodelle zu richten, die ein klares Verständnis und eine Ausrichtung auf diese betrieblichen Abläufe in den Vordergrund stellen.

„Wichtig ist, dass sich die Unternehmen auf die Semantik der ausgetauschten Daten konzentrieren. Wenn sie die Semantik richtig hinbekommen, können sie sich an jedes neue Format anpassen. “

Gibt es Ihrer Meinung nach ein optimales Format für den Datenaustausch, das Unternehmen heute verwenden sollten?

Ich würde nicht sagen, dass es nur ein bestes Format gibt. Jedes Format – ob UN/EDIFACT, XML, JSON oder sogar herkömmliche Papierformate – dient demselben grundlegenden Zweck: den Datenaustausch zwischen Handelspartnern zu ermöglichen. Die Wahl des Austauschformats hängt oft von den spezifischen Bedürfnissen des Unternehmens und dem vorhandenen technischen Know-how ab. Wichtig ist, dass sich die Unternehmen auf die Semantik der ausgetauschten Daten konzentrieren. Wenn sie die Semantik richtig hinbekommen, können sie sich an jedes neue Format anpassen.  Man darf jedoch nicht vergessen, dass die Entwickler in einem Unternehmen oft nur das umsetzen können, was sie kürzlich gelernt haben. Und das ist derzeit höchstwahrscheinlich JSON und nicht semantische Datenmodelle – dies ist eine ständige Herausforderung in der realen Welt. Ein weiteres Problem ist, dass wichtige Lektionen, die im Laufe der Jahre gelernt wurden, nicht immer in Erinnerung bleiben.

Was empfehlen Sie Unternehmen, um sicherzustellen, dass sie für einen effizienten Datenaustausch gut gerüstet sind?

Meine Empfehlung wäre, sich auf die Semantik Ihrer internen Datensysteme zu konzentrieren und sie so weit wie möglich an internationale Standards anzupassen. Diese Angleichung wird den Datenaustausch mit externen Partnern erheblich erleichtern, ganz gleich, welches Format verwendet wird. Wenn Ihre internen Systeme zu starr sind, um sie zu ändern, dann sorgen Sie zumindest dafür, dass Ihr externer Datenaustausch standardisiert ist.

Wenn Unternehmen ein neues ERP-System einführen oder Prozesse digitalisieren, denken sie allzu oft nur an ihre eigenen internen Abläufe und verlieren ihre externen Geschäftspartner aus den Augen. Ich finde es erstaunlich, dass sie nicht mehr darüber nachdenken. Die Frage, wie Daten nach außen ausgetauscht werden, sollte einen viel höheren Stellenwert haben.

“Ich habe mein ganzes Leben damit verbracht, Menschen zu treffen, die glauben, sie würden etwas zum ersten Mal tun. Das tun sie aber nicht. Es ist ein langer, langer Weg.“

Und was ist Ihrer Meinung nach die größte Herausforderung für die Zukunft des Datenaustauschs?

Die größte Herausforderung wird sein, dafür zu sorgen, dass all die verschiedenen Formate und Technologien weiterhin Teil des Bildes sind. Ich habe mein ganzes Leben damit verbracht, Menschen zu treffen, die glauben, sie würden etwas zum ersten Mal tun. Das tun sie aber nicht. Es ist ein langer, langer Weg, und wir alle müssen sowohl die Vergangenheit als auch die Zukunft anerkennen, um voranzukommen. Andernfalls werden wir die gleichen Probleme immer wieder neu erfinden. Es gibt viele wertvolle Daten, die in älteren Formaten wie UN/EDIFACT ausgetauscht werden, und wir müssen sicherstellen, dass diese zugänglich und nutzbar bleiben. Die Zukunft des Datenaustauschs muss alle relevanten Technologien einbeziehen.

Frau Probert, vielen Dank für das Interview.

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