Roman Strand, Senior Manager Master Data + Data Exchange bei GS1 Germany, über die Erfolge und die Zukunft von EANCOM® und den GS1-Anwendungsempfehlungen auf Basis von EANCOM®
Roman Strand arbeitet seit über 20 Jahren für GS1 Germany und ist dort unter anderem als Leiter der nationalen Fachgruppe EDI/eCommerce tätig. In diesem Interview erklärt er, welche Rolle der EANCOM®-Standard spielt und warum die GS1-Spezifikation mit den dazugehörigen Anwendungsempfehlungen auch in Zukunft das Geschäft des Massendatenaustausches bestimmen wird.
Guten Tag Herr Strand, Sie arbeiten seit über 20 Jahren für GS1 Germany. Was waren in diesem Zeitraum die großen Schwerpunkte ihrer Arbeit?
Ich arbeite die gesamte Zeit bei der GS1 in der Abteilung für nationale und internationale Standardisierung. In den ersten Jahren war ich der Lehrling unter Norbert Horst, der den EANCOM®-Standard in Deutschland mit entwickelt hat. In dieser Zeit habe ich viel gelernt und auch begonnen, mit GEFEG.FX zu arbeiten. Dieser Abteilung und dem Thema der nationalen und internationalen Standardisierung bin ich bis heute treu geblieben. In verschiedenen Gremien treibe ich gemeinsam mit unseren Partnern aus der Wirtschaft die Weiterentwicklung unserer Standards voran. Darüber hinaus bin ich als Trainer tätig und führe EDI-Schulungen durch, in denen unsere Kunden u. a. zu zertifizierten EDI-Managern ausgebildet werden.
Mit welchen Themen haben Sie sich im letzten Jahr viel beschäftigt?
Neben der Weiterentwicklung und Pflege unserer EANCOM®- und XML-Standards beschäftigen wir uns mit den aktuellen Digitalisierungsthemen und überprüfen, inwiefern neue Innovationen für unsere Arbeit bei GS1 relevant sein könnten. Des Weiteren hatten wir im letzten Jahr unsere große Jubiläumsfeier, denn EANCOM® ist inzwischen über 30-Jahre auf dem Markt und seit über 20 Jahren gibt es unsere Anwendungsempfehlungen.
Warum wurde der EANCOM®-Standard entwickelt und welche Funktion erfüllt er?
Der EANCOM®-Standard wurde ja bereits vor meiner Zeit bei GS1 entwickelt. Es gibt den Mutterstandard EDIFACT, der viel zu groß und komplex ist. Die große Errungenschaft des EANCOM®-Standards ist es, diese Komplexität des Mutterstandes auf jene Elemente, die für unsere Kunden wichtig sind, zu reduzieren. Aus ca. 220 EDIFACT-Nachrichten wurden 50 EANCOM®-Nachrichten, die dann noch auf branchenspezifische EANCOM®-Anwendungsempfehlungen angepasst wurden. Je schlanker ein Standard ist, desto wirtschaftlicher und effizienter lässt er sich implementieren. Diese Vereinfachung machte eine weitreichende Nutzung des Standards durch viele Unternehmen erst möglich. Wir haben den englischsprachigen Standard zudem fast vollständig in die deutsche Sprache übersetzt. Das war für die deutsche Community eine weitere große Vereinfachung.
Wie waren Sie denn persönlich in die Entwicklung des EANCOM®-Standards eingebunden?
Die Entwicklung des EANCOM®-Standards wird vor allem durch unsere Kunden aus dem Handel, der Industrie und weiteren Wirtschaftszweigen vorangetrieben. Die geben der GS1 ihre Anforderungen weiter, die dann in der Fachgruppe EDI/eCommerce bearbeitet werden. Die Entscheidungen der Fachgruppe werden anschließend unter anderem von mir als Vertreter der GS1 umgesetzt.
Wie kann ich mir die Rolle der GS1 in diesem Prozess vorstellen?
Es gibt auf dem Markt viele veröffentlichte Standards für den elektronischen Datenaustausch zwischen Unternehmen. Aber hinter den wenigsten steht eine verlässliche Organisation, die sich kontinuierlich für die Weiterentwicklung ihres Standards einsetzt. Bei uns können die Kunden darauf vertrauen, dass eine Implementierung des Standards eine zukunftssichere Investition ist. Wenn es zum Beispiel zu einer gesetzlichen Änderung kommt, die auch im Standard berücksichtigt werden muss, passen wir den Standard an.
Darüber hinaus sind wir für die Dokumentation und Spezifizierung des EANCOM®-Standards verantwortlich. Auch hier liegt unser Fokus wieder auf der Vereinfachung. Wir sorgen dabei unter anderem dafür, dass möglichst viele Codes aus Codelisten statt Freitextfeldern genutzt werden. Denn bei Freitextfeldern ist eine automatisierte Datenverarbeitung oft mit Fehlern verbunden.
Für die Datenmodellierung und Dokumentation des EANCOM®-Standards nutzen Sie GEFEG.FX. Aus welchen Gründen greifen sie bei diesen Arbeitsschritten auf die Software zurück?
Ich arbeite jetzt bereits seit vielen Jahren mit GEFEG.FX und es hat eine Weile gedauert, bis ich die Software wirklich in vollem Umfang nutzen konnte. Im Vordergrund hat man seine Spezifikation und im Hintergrund den Standard, der mit den entsprechenden Codelisten verbunden ist. Das heißt, als Nutzer kann ich bei der Entwicklung der eigenen Spezifikation im Vordergrund nichts tun, was nicht bereits im zugrundeliegenden Standard hinterlegt ist. Sobald vom Standard abgewichen wird, meldet sich GEFEG.FX mit einer Fehlermeldung und stellt sicher, dass es zu keiner fehlerhaften Abweichung kommt. Diese Kontrollfunktion ist für mich der Hauptvorteil von GEFEG.FX als Standardtool. Ansonsten könnte immer schnell ein Komma vergessen oder ein anderer kleiner syntaktischer Fehler übersehen werden.
Mit dem im Hintergrund laufenden Standard können bequem Validierungen oder Prüfungen durchgeführt werden. Außerdem kann mithilfe der unterschiedlichen Output-Möglichkeiten auf Knopfdruck schnell eine Dokumentation erstellt werden. Dank dieser Funktionen muss man nicht immer wieder von Neuem anfangen und spart bei vielen Arbeitsschritten sehr viel Zeit.
Wie schätzen Sie die zukünftige Entwicklung des EANCOM® Standards ein?
EANCOM® ist für mich Classic EDI, was für viele Arbeitskräfte in innovativen Unternehmen als altbacken gilt. Dieses klassische EDI bietet meiner Meinung nach aber viele Vorteile. Es ist eine definierte Struktur, die im Massendatenaustauschgeschäft funktioniert und auch in Zukunft funktionieren wird. Ich sagte mal zu meinem Kollegen, der genauso lange bei der GS1 im Thema EDI arbeitet wie ich: „Bis zu unserem Ruhestand müssen wir uns keine Sorgen machen, dass EANCOM® abgeschaltet wird.“
Denn das Geschäft läuft weiterhin und die Nachfrage bleibt groß. Es gab und gibt immer wieder neue Technologien, die vermeintlich das klassische EDI ablösen sollen. Als ich bei GS1 angefangen habe, bestand ein Riesen Hype um das Thema XML. Gleiches passierte Jahre später mit der Blockchain Technologie und heute mit APIs. Alle drei Technologien wurden als Ersatz vom Klassischen EDI angesehen, sind letztendlich aber alles nur Ergänzungen, die im EDI-Bereich unterstützende Möglichkeiten bieten. Der Massendatenaustausch wird weiterhin durch klassisches EDI geregelt und daher gehe ich davon aus, dass auch die Zukunft des EANCOM®-Standards gesichert ist.
Gibt es Herausforderungen oder Schwierigkeiten, welche bei der Weiterentwicklung des Standards berücksichtigt werden müssen?
Das Problem eines globalen Standards ist seine Komplexität. Im Laufe der Jahre wurden immer neue Informationen dem Standard hinzugefügt. Beispielsweise führte jede relevante Gesetzesänderung zu neuen Zusätzen, ohne dass jemals etwas gelöscht wird, selbst wenn es seit 20 Jahren von keinem mehr genutzt wird.
Wir sollten daher wieder verstärkt auf schlanke EANCOM®-Standards hinarbeiten, in denen wirklich nur die Informationen hinterlegt sind, die zwingend gebraucht werden. Denn diese Reduzierung der Komplexität ist ja eine der zentralen Stärken der GS1 Standards. Das erreichen wir vor allem durch die Entwicklung von Anwendungsempfehlungen, in denen der zugrundeliegende Standard noch weiter für einen bestimmten Anwendungsfall spezifiziert wird. Das führt zu weniger benötigten Informationen und weniger potenziellen Fehlerquellen.
Wir nähern uns dem Ende unseres Gespräches. Gibt es noch etwas anderes Wichtiges abseits des EANCOM®-Standards, dass Sie gerne ansprechen möchten?
Ja, wir arbeiten aktuell an einem semantischen Datenmodell und bauen damit eine neue inhaltliche Grundlage auf, in der alle relevanten Informationen beinhaltet sind, die elektronisch ausgetauscht werden sollen. Auch die GEFEG ist in diesen Entwicklungsprozess eingebunden. Mit dem Datenmodell haben unsere Kunden die Möglichkeit, frei zu entscheiden, welche Syntax-Form sie bei ihren Datenformaten für den elektronischen Datenaustausch verwenden. Diese Grundsatzarbeit hilft den Anwendern also zukünftig unabhängiger von einer bestimmten Syntax zu sein und frei entscheiden zu können, ob eine XML-, EANCOM®- oder gar eine API für den Datenaustausch genutzt werden soll.
Herr Strand, ich danke Ihnen für dieses Gespräch.